Soziokulturelle Prägung
Die (ethische) Brille, durch die wir die Welt betrachten.
Was meine ich damit?
Salafisten (um ein einprägsames Beispiel für „kulturell westlich” geprägte Menschen zu nehmen) halten wir für ideologisch / religiös verklärte Fundamentalisten. Betrachtet sich der Salafist als „schlechter” Mensch, weil er Dinge macht, die gegebenenfalls Leid verursachen? Sicher nicht. Denkt er, sich richtig und gut zu verhalten oder hat gar die Absicht, Gutes zu bewirken? Durchaus wahrscheinlich. Aus seiner Sicht mögen die Andersdenkenden die „Bösen” sein, weil sie sich ihm widersetzen – ihm, der doch nur Gutes will. Dieses „Gute” basiert auf den Werten der religiös geprägten Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde. Er verhält sich gemäß seiner soziokulturellen Prägung.
Ob eine Ideologie nun einen religiösen Hintergrund hat oder auf anderen gesellschaftlichen Glaubenssätzen und Denkmustern basiert, spielt keine Rolle. Auch wir wachsen in eine Gesellschaft auf, deren Werte wir als Norm betrachten und übernehmen, wir würden das Ganze vermutlich nur nie als „Ideologie” bezeichnen.
Haben wir ein Bewusstsein für unsere eigene Ideologie / Prägung? Haben wir einen objektiven Blick auf unsere Werte und Normen, die für uns selbstverständlich sind? Erkennen wir bei uns irgendeine Form von Fundamentalismus?
Ich bezweifle es.
Ich bezweifle es.
Was ist ein Bias?
„(Tief verwurzelte) Denkmuster und Ansichten, die von ihren Besitzern meist als Selbstverständlichkeiten wahrgenommen werden und deshalb – ohne Impuls von außen – nie reflektiert werden. Oft sind sie kulturell geprägt, werden von Generation zu Generation weitergegeben und können einen starken Einfluss auf soziale Normen, Werte und das Verständnis von Ethik und Moral haben.
Sie spiegeln sich im Verhalten der Mehrheit einer Gesellschaft und haben dadurch einen sich selbst verstärkenden Effekt: das Verhalten der vom Bias geprägten Individuen der Mehrheit bestätigt dem Einzelnen die vermeintliche Legitimität des Verhaltens. Dieser Kreislauf kann dazu führen, dass bestimmte Überzeugungen und Vorurteile in einer Gesellschaft fortbestehen – es sei denn, es gibt bewusste Bemühungen, diese zu hinterfragen und zu überwinden.”
Hinweis: Soziokulturelle Prägungen müssen per se nicht schlecht sein. Sie können positive, das heißt, leidverhindernde /glückschaffende Folgen haben oder eben negative / leid verursachende. Ich beziehe mich nachfolgend immer auf die negative soziokulturelle Prägung.
Beispiele für Prägungen



Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass jede der Personen von dem geprägt ist, was ihr soziokulturell als Norm vermittelt wurde. Sie wachsen in einem Umfeld auf, in dem bestimmte Werte gelten. Als Kind können diese Werte kaum reflektiert werden, als Erwachsener hat man sich dann so daran gewöhnt, dass sie selbstverständlich sind, historisch legitimiert sozusagen. Da die meisten Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft diesen Wertvorstellungen folgen, bestätigen sich so gegenseitig deren „Richtigkeit” oder verhindern, dass das Ganze hinterfragt wird.
"Das Unrechtsbewusstsein in einer Gesellschaft sinkt mit zunehmender Anzahl derer, die das Unrecht begehen."
Als "tolerante Europäer" verurteilen wir das Verhalten des Salafisten und das des Sklavenhalters. Mit dem Fleischesser aber können wir uns vermutlich schon eher identifizieren.
„Es ist doch normal, Fleisch zu essen. Es war immer schon so," könnte er argumentieren, wenn er von "einem dieser radikalen Aktivisten" angesprochen wird. Fleisch zu essen ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, auf die er ein Anrecht zu haben meint und die in Frage zu stellen schon fast eine Beleidigung für ihn darstellt. Er ist geprägt. Und diese Prägung basiert auf einer Reihe von „Argumenten”, die er seit Geburt verinnerlicht, aber vermutlich nie hinterfragt hat.
„Es ist doch normal, Fleisch zu essen. Es war immer schon so," könnte er argumentieren, wenn er von "einem dieser radikalen Aktivisten" angesprochen wird. Fleisch zu essen ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, auf die er ein Anrecht zu haben meint und die in Frage zu stellen schon fast eine Beleidigung für ihn darstellt. Er ist geprägt. Und diese Prägung basiert auf einer Reihe von „Argumenten”, die er seit Geburt verinnerlicht, aber vermutlich nie hinterfragt hat.
Auf dieses „kolletive Argumentationsfundus" komme ich noch.
Sofern du entgegnen möchtest: "Die Beispiele kannst du doch nicht miteinander vergleichen. Im ersten Beispiel sind ja nur Tiere die Leidtragenden und keine Menschen wie in den beiden anderen Fällen" dann wäre genau das der Beleg für deine (unbewusste) Prägung und das Hinzuziehen eines der „Argumente” aus dem kolletiven Argumentationsfundus: die unterschiedliche Bewertung der Lebenswertigkeit verschiedener Spezies.
Wir sind oft geneigt, einem Mitglied aus unserer eignen Zugehörigkeitsgruppe (Rasse, Religion, Nationalität und Spezies) einen höheren Wert zu geben als einem Nichtmitglied. Wie die (männlich dominierende) Gesellschaft der Salafisten der Frau gegenüber, die Gesellschaft der (weißen) Sklavenhalter den Schwarzen gegenüber, so hat auch der Mensch dem Tier gegenüber „gute Gründe” konstruiert, um diese Bewertung zu rechtfertigen – und dementsprechend den eigenen Interessen ein weitaus höheres Gewicht zu geben als den Interessen der Schwächeren.
Als Teil solcher "geprägten Gesellschaften" sind wir uns der irrationalen Bewertungsmaßstäbe, die wir instinktiv anwenden, selten bewusst.